Seit Tausenden von Jahren sichern konservierte Lebensmittel das Überleben der Menschen. Denn was in einer Saison im Übermasse vorhanden ist, wird ein paar Wochen oder Monate später schnell zur Mangelware. So ist es auch mit Milch. Im Frühjahr produzieren Kühe mehr Milch als im Herbst. Zudem kam früher neben der Saisonalität ein weiteres Problem hinzu: Lebensmittel konnten noch nicht gekühlt werden. Und wie uns allen bekannt ist, wird Milch bei Raumtemperaturen schnell ungeniessbar.
Doch der Mensch wusste sich schon immer zu helfen, zu kostbar war das «weisse Gold», wie Milch auch genannt wird. Bereits um 5000 v. Chr. (1) konservierten die Menschen nachweislich Frischmilch in Form von Käse oder, wie Marco Polo im 13. Jahrhundert in seinen Reiseaufzeichnungen niederschrieb, später als einer Art Trockenmilch (2). Marco Polo beobachtete, wie mongolische und tatarische Reitervölker ihre Milch zu einer teigähnlichen Masse trockneten.
Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert kamen neue, verfeinerte Methoden hinzu, um Milch haltbar zu machen, beispielsweise in Form von Kondens- bzw. Dosenmilch oder von Milchpulver.
Der eigentliche Durchbruch der industriellen Herstellung gelang dem Amerikaner Gail Bordon. Er entwickelte ein Verfahren, Kondensmilch industriell herzustellen. Im Jahr 1856 wurde ihm das entsprechende Patent erteilt (5). 1864 gründete er die New York Condensed Milk Company, welche täglich rund 75'000 (6) Liter Milch zu Kondensmilch verarbeitete.
Die erste Kondensmilchfabrik Europas stand in der Schweiz, in Cham, Kanton Zug. Gegründet wurde sie am 9. August 1866 von den amerikanischen Brüdern George und Charles Page unter dem Namen Anglo-Swiss Condensed Milk Co. Charles Page war geschäftlich in seiner Funktion als amerikanischer Vizekonsul oft in der Schweiz unterwegs und sah die vielen Kühe. Dies brachte ihn auf die Idee, von der Schweiz aus Kondensmilch für ganz Europa zu produzieren. Die Produktionsmaschinen wurden direkt aus den USA in die Schweiz beschafft. Bereits im ersten Jahr produzierte die Fabrik 137'000 Büchsen (7) Kondensmilch zu je 450 Gramm und schrieb schwarze Zahlen.
Insbesondere Grossabnehmer wie Spitäler schätzten die Kondensmilch wegen ihrer langen Haltbarkeit.
Das Unternehmen hatte alle Hände voll zu tun und mit ihnen die rund 43 Bauern mit ihren 263 Kühen (7). Der Erfolg der Gebrüder Page rief schnell Nachahmer auf den Plan. Im Jahr 1872 gab es bereits 25 Kondensmilch-Fabriken in Europa, darunter auch mindestens sechs (8) in der Schweiz. Viele der Firmen mussten jedoch wegen Qualitäts- und Finanzierungsprobleme schnell wieder geschlossen werden oder wurden von der Anglo-Swiss Condensed Milk Co aufgekauft – eine bewusst gewählte Strategie der Gebr. Page, sich die Marktdominanz zu sichern.
In der zweiten Hälfte der 1880-er Jahren erlebte die Kondensmilch-Industrie eine kurze Krise, von der sie sich jedoch schnell erholte. Von da an ging es wieder steil aufwärts mit der Kondensmilch. Sie gehörte bis zum Ausbruch des 1. Weltkrieges neben Textilien, Stickereien und Käse zu den wichtigsten Exportgütern der Schweiz. 1911 stellten rund 28 (8) Firmen in der Schweiz Kondensmilch her, darunter auch die Schweiz. Milchgesellschaft AG, die heutige HOCHDORF Swiss Nutrition AG. Sie darf als eine der Vorreiterinnen der industriellen Milchverarbeitung bezeichnet werden. Seit 1895 produzierte sie sterilisierte Milch in Dosen und ab 1905 gezuckerte und ungezuckerte Kondensmilch. Weitere bedeutende Schweizer Unternehmen waren damals neben der Anglo-Swiss Condensed Milk Co die Berneralpen Milchgesellschaft in Konolfingen sowie Nestlé.
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Quellen
1) Salque M. et al.: Earliest evidence for cheese making in the sixth millennium bc in northern Europe.Nature, Band 493, 2012, S. 522–525, doi:10.1038/nature11698
2) swiss-milkpowder.ch/milk/history, Stand 3.9.2019
3) Barbier J.-P.: Nicolas Appert inventeur et humaniste, Royer, Paris, 1994. (ISBN 2-908670-17-8)
4) WDR.de: 19. August 1856 – Die kondensierte Milch wird patentiert, Stand 3.9.2019
5) Gail Borden from Wikipedia, Stand 3.9.2019
6) New York Milk Condensery, Borden’s Milk. Southeast Museum
7) Van Orsouw M., Stadlin J., Imboden Monika: George Page, der Milchpionier, Verlag NZZ, ISBN 3-03823.
8) Pfiffer A.; Historisches Lexikon der Schweiz HLS, © 1998-2019 HLS
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