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Laktoseverträglichkeit – ein europäisches Kulturerbe

Geschrieben von Monique Inderbitzin | 14.02.2023 16:17:28
Laktoseverträglichkeit, bzw. das Gegenteil davon, ist ein häufig aufgegriffenes Gesundheitsthema des 21. Jahrhunderts. Immer mehr Menschen scheinen davon betroffen zu sein. Die Fakten zeigen ein erstaunlich anderes Bild. Sie war in Europa die Regel. Bis zu der besagten Stunde null einer rasanten Genmutation.


Normalzustand mit gutem Grund

Unsere erste Nahrung ist Milch. Ohne Milch würden wir als Babys nicht überleben. Wehe, sie steht uns in den ersten Lebensmonaten nicht zur Verfügung, wenn uns danach ist – dann wimmern und krähen wir, bis kein Stein mehr auf dem anderen steht. Ist es nicht sonderbar, dass dann die Mehrheit der Menschen unter Laktoseintoleranz leidet?

Tatsächlich ist die Laktoseintoleranz bei Menschen der Normalzustand. Und dies mit gutem Grund – der Körper verliert mit zunehmendem Alter, in der Regel jedoch schon als Kleinkind die Fähigkeit, Laktose abzubauen bzw. das Verdauungsenzym Laktase zu produzieren. Denn nach dem Abstillen gibt es für den Körper keinen Grund mehr, Laktose verwerten zu können.

Laktose-Unverträglichkeit mit geografischen Schwerpunkten

Laktase ist ein Enzym, das in unserem Darm vorkommt und dafür sorgt, dass der Milchzucker bzw. die Laktose in Milchprodukten in Glukose und Galaktose zerlegt werden kann. Die Laktoseintoleranz ist keine allergische Reaktion, sondern die weltweit häufigste Unverträglichkeit gegenüber Nahrungsmitteln. Die Symptome der Laktoseintoleranz äussern sich meist in Form von Magen-Darm-Beschwerden wie Bauchschmerzen, Durchfall und Blähungen.

Die Fähigkeit des Körpers, auch im Erwachsenenalter Laktose vertragen zu können, hat sich weltweit sehr ungleich etabliert. Die geografischen Unterschiede sind markant.

Die Laktoseintoleranz tritt vor allem bei Menschen aus Asien, Afrika sowie Südeuropa auf und nimmt Richtung Norden und Westen stetig ab. In Skandinavien leiden nur 3 % der Bevölkerung darunter, in der Schweiz und Deutschland sind es bereits 10 bis 20 %. Doch wie kam es dazu, dass Europäer nur wenig Probleme in Sache Laktose haben? Es liegt an einer interessanten Genmutation.

Genmutation im Schnelltempo

Man ging lange Zeit davon aus, dass die Laktoseverträglichkeit vor 4000 Jahren zu uns kam durch die unseren Kontinent prägende Zuwanderung der Jamnaja, ein Volk aus der kaukasischen Steppe. Unser heutiges Genom ist der klare Nachweis, dass sich unsere Vorfahren mit der damaligen örtlichen Bevölkerung vermischten.

Ein Forschungsteam der Universität Fribourg kam jedoch zum Schluss, dass die Genmutation tatsächlich rund 1000 Jahre später einsetzte. Die Beweisführung beginnt bei der Tollense-Schlacht in Norddeutschland vor 3000 Jahren. Forschende konnten bei 18 Tollense-Skeletten DNA-Proben entnehmen, 14 davon waren brauchbar und wurden an der Universität untersucht. Die Proben brachten Erstaunliches zutage. Von den 14 Tollense-Kriegern konnten 13 keine Laktose verarbeiten.

Von da an brauchte es rund 120 Generationen, bis die Menschen ohne Probleme laktosehaltige Nahrungsmittel zu sich nehmen konnten. Evolutionsgeschichtlich gesehen ein rasantes Tempo und ein Flächenbrand, der sich 2000 Jahre später über ganz Mittel- und Nordeuropa ausbreitete. Die Gründe beruhen auf dem darwinistischen Prinzip der natürlichen Auslese.

Milchgenuss aufgrund natürlicher Selektion

Es ist anzunehmen, dass in unseren Breitengraden Hungersnöte, Missernten, Pandemien und unsauberes Wasser sehr verbreitet waren. Es ging um Leben und Tod.

Diejenigen, die Milch trinken konnten, hatten einen Überlebensvorteil.

Waren die Felder verdorrt und die Speicher leer oder das Wasser verseucht, blieb den Milchtrinkern wenigstens noch die Kuh. Zudem litten sie seltener an Typhus und Cholera. So kam es zu einer natürlichen Auslese. Laktoseintolerante Menschen verstarben mit höherer Wahrscheinlichkeit vor oder während ihrer reproduktiven Jahre. Die genmutierte Bevölkerung wuchs immer schneller und setzte sich in Nord- und Mitteleuropa durch.

Im Süden war das Nahrungsangebot jedoch üppiger, die Fähigkeit, Milch trinken zu können, entschied dort weniger über Leben und Tod. Dies erklärt auch teilweise das Nord-Süd-Gefälle in Bezug auf die Laktoseintoleranz.

Unterschiedlicher Laktosegehalt von Milchprodukten

Rund 80 % der Weltbevölkerung sind laktoseintolerant. Gänzlich auf Milchprodukte verzichten müssen sie nicht, denn nicht jedes Milchprodukt enthält gleich viel Laktose. Der Gehalt ist abhängig von der Verarbeitung und der Lagerung. Während in der kaum verarbeiteten Frischmilch noch sehr viel Laktose vorhanden ist, enthält Weichkäse nur noch Spuren davon.

Hartkäse hingegen ist laktosefrei. Bei der Herstellung von Käse wird der Grossteil der Laktose bereits mit der Molke ausgeschieden. Den Rest bauen die Milchsäurebakterien während des Reifungsprozesses ab – Käse, der länger als sechs Wochen reifen kann, ist praktisch laktosefrei.

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Aufgrund der weltweit verbreiteten Laktoseintoleranz kommen immer mehr Produkte ohne Laktose auf den Markt.

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Weitere Informationen:

Quellen:
1)  Nmi Ernährung im Fokus / Laktoseintoleranz weltweite Verteilung, Zugriff 1. Februar 2023
2) Acroscope – Laktoseintoleranz, Zugriff 1. Februar 2023
3) Johannes Gutenberg Universität Mainz, "Milchverträglichkeit hat sich in wenigen tausend Jahren in Mitteleuropa verbreitet", Zugriff 1. Februar 2023
4) universitas – Das Wissenschaftsmagazin der Universität Freiburg: "Milchtrinken oder sterben", Zugriff 1. Februar 2023
5) Joachim Burger, Daniel Wegmann et al.: "Low Prevalence of Lactase Persistence in Bronze Age Europe Indicates Ongoing Strong Selection over the Last 3,000 Years", Zugriff 1. Februar 2023
6) Sge Schweizerische Gesellschaft für Ernährung: Publikation Ernährung bei Laktoseintoleranz (Milchzuckerverträglichkeit), Zugriff 1. Februar 2023

 

Bildlegende:

Die Laktoseintoleranz ist weit verbreitet, weist aber in ihrer Häufigkeit ein starkes geografisches Nord-Süd-Gefälle auf (Bildquelle: NmiPortal - Eigenes Werk / Food Intolerance Network, CC BY-SA 3.0).